Ausstellung in Heidelberg vom 17.04 bis 30.09.2016

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Malerei und Grafik von Johann-Friedrich Langbein

Zahnarztpraxis am Römerkreis, 
Dr. Ulike Ebensberger, Kurfürstenanlage 43, 69115 Heidelberg

Eröffnungsrede Mario Urlaß
Liebe Gäste,
es ist mir eine besondere Freude und Ehre, einige einführende Worte zur Ausstellungseröffnung mit Malerei und Grafik von Johann Friedrich Langbein zu sprechen. Und gestatten Sie mir, dass ich nicht von Johann Friedrich Langbein, sondern von Fritz Langbein spreche. Er war von Beginn meiner Tätigkeit an vor 13 Jahren hier in Heidelberg mein Kollege Fritz, und so soll es auch heute bleiben. Aus der herzlichen und unkomplizierten Kollegialität ist eine Verbundenheit und Freundschaft geworden, die auch in seinem wohlverdienten Ruhestand andauert. Uns verbinden Jahre gemeinsamer Arbeit in kunstpädagogischer und künstlerischer Lehre, gemeinsamen Exkursionen und schöne Begegnungen im Privaten. Ich schätze ihn als offenen, ehrlichen und toleranten Menschen, ich schätze seinen hintergründigen Humor, seine stets kritische Sicht auf die Dinge und neugierige Haltung zu Fragen unserer Zeit. Und ich schätze ihn natürlich als Künstler, deshalb habe ich gerne zugesagt, als er mich fragte, ob ich die Einführung zu dieser, an nahezu 50 Bildern reichen Ausstellung übernehme.

Fritz Langbein, 1952 geboren, studierte nach dem Besuch des Evang. Theologischen Seminars Maulbronn – Blaubeuren von 1970 bis 1975 an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe bei Werner Knaupp und Gottfried Meyer, war nach seiner Staatsprüfung 1979 als Kunsterzieher an Gymnasien in Schwäbisch Gmünd und Mössingen tätig, zudem als Instrumentallehrer für Fagott an der Städt. Musikschule Schorndorf . Hier spreche ich, neben der bildenden Kunst, eine zweite Leidenschaft von ihm an, das Musizieren und die klassische Musik. Als Fagottist bestreitet er u.a. seit Jahren Konzerte mit der SAP Sinfonietta. Seit 1991 war er fast 25 Jahre lang geschätzter OStR im Fach Kunst an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. In der Ausstellung versammelt der Künstler Werke, die zwischen 1993 und 2016 entstanden sind, wobei die Mehrheit der Bilder in den letzten 5 Jahren entstand. Den Entstehungsprozess einiger Malereien und Grafiken konnte ich selbst im Rahmen gemeinsamer Kunstexkursionen, die uns mit Studierenden in ein kleines Städtchen im Umbrien führten, miterleben. Ich erinnere mich noch gut an die gemeinsame Arbeit im Atelier, an die Versunkenheit, ja, Kontemplation, Selbstvergessenheit, mit der Fritz seine Bilder vorantrieb. Oft ausgehend von Skizzen, in seinem Atelier in der Bergheimer Straße findet sich ein umfangreiches Konvolut, entwickelten sich Aquarelle und Malereien, vornehmlich in Acryl. Die Skizzen entstanden teils vor der Natur, teils sind es Verarbeitungen von Gesehenen, Erinnerten, teils verspielte Erkundungen, in dem von ihm bevorzugten, meist naturbezogenen Formenvokabular von Linien, Strukturen und Flächen.

Aus diesen Vorarbeiten entwickeln sich zugleich einzelne Themenfelder, die seine künstlerische Arbeit bestimmen. Da ist zunächst die Landschaft, die auch das Motiv der Einladungskarte ausmacht. Das abgebildete Werk ist „Der Breitenstein“, ein etwa 800 m hohes Felsplateau der Schwäbischen Alb. Schon hier zeigt sich, wie meisterhaft Fritz Langbein zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit balanciert, immer wieder findet er Gefallen an dieser Landschaft, seiner heißgeliebten württembergischen Heimat (wie er oft betont), der er sich innerlich so verbunden fühlt, der er gerne seine Reminiszenz erweist. Alles und jedes hier ist leicht und verspielt. Seine Detailverliebtheit zeigt sich dann, wenn mit Aquarellfarbe Linie um Linie und Punkt um Punkt zu Landschaftsformationen, zu Bergen, Wegen, Wiesen, Feldern verdichtet werden. Akribisch, geduldig und konzentriert geht er vor, die für Aquarelle oft typischen Zufälligkeiten werden kaum zugelassen. Vielmehr stehen Farbflächen klar abgegrenzt, oft intensiv leuchtend, nebeneinander oder überlagern sich durchscheinend. Das trifft im Übrigen für fast sämtliche seiner Malereien, für Aquarelle, Mischtechniken und die Acrylbilder zu. Es ist alles auf eine denkbar große Einfachheit zurückgeführt, nichts Unwesentliches stört. Ein Bild lebenskräftiger Natur wird vorgeführt, das auf der Analyse des Gesehenen und individueller, emotionaler Projektionen basiert. So auch in weiteren Aquarellen der Alblandschaft in Rot, Grün, Schwarz oder in den Calanchi, einer Landschaftsformationen, die wir in der Umgebung unseres italienischen Exkursions-Ortes entdecken. Hier entfernen sich die Darstellungen in Form und Farbe stärker von dem Vorbild, bekommen einen Eigenwert.

Spätestens seit der Romantik, Anfang des 19. Jahrhunderts, verlor die malerische Darstellung von Landschaften ihren reinen Abbildcharakter und wurde zum Ausdrucksträger unterschiedlicher subjektiver Inhalte, wie beispielsweise der Sehnsucht nach einer vollendeten Form oder der inneren Befindlichkeit des Künstlers, die sich bis zu höchstgespannter Expressivität in moderner Zeit z.B. bei den Expressionisten steigern ließ. Und der Künstler war somit, wie Cézanne es formulierte , ein „Aufnahmeorgan, ein Registrierapparat für Sinnesempfindungen“, die er aus der Landschaft bezieht, um sie dann in eine individuell gewählte, künstlerische Form jedweden Gehalts umzusetzen. Besonders deutlich wird dies in den Langbeinschen Landschaftsbildern, die „nichtirdisch“ im Titel tragen. Es ging ihm nicht um die Abbildung gesehener Gegenden. Abbilden im Sinne von wiedererkennbarer Genauigkeit ist für ihn kein künstlerisches Kriterium. Es geht ihm auch nicht vorwiegend um das Einfangen bestimmter Lichtverhältnisse, nicht um Abbildung von Wolken und anderen atmosphärischen Ereignissen, auch nicht um die Darstellung von Raum und Tiefe. Vielmehr spielt die Transformation landschaftlicher Gegebenheiten in nahezu ungegenständliche Formen für ihn eine zentrale Rolle.

Dies lässt sich besonders in seinen sogenannten Reihungen entdecken, bei denen der Abhebungsgrad von der Wirklichkeit, auch mit Blick auf die Farbwahl, besonders groß ist. Neben reine Farbflächen setzt der Künstler rhythmische, farbgrafische Struktur-Felder, die im Gesamtbild Landschaft höchstens erahnen lassen, gänzlich neue Assoziationen provozieren. Aus meiner Sicht wird dies besonders eindrucksvoll in einer jüngsten Arbeit, dem Grünen Bild aus dem Jahr 2016, vorgeführt. Dort zeigt sich ein weiteres Merkmal seiner Kunst. Räumliches paart sich mit Flächenhaftem, die Flächen selbst erscheinen wie zerbrochene Fragmente. Deren harte Anschnitte am Bildrand erwecken den Eindruck, als ob sie darüber hinauswachsen könnten, es sich nur um einen kleinen Ausschnitt einer sehr komplexen Konstellation handelt. Beschränken Sie sich ruhig einmal auf das längere Betrachten weniger Bilder gerade dieser Art in der Ausstellung, spüren Sie diesem Gefühl der Entgrenzung nach. Die Bilder gehen weiter, auch im Kopf.

Und: Die Frage nach der Dinghaftigkeit, nach der Materialität dessen, was das da eigentlich ist, eröffnet sich bei der Art seiner Malereien immer wieder. Hier lässt sich eine Brücke zu Werken schlagen, die in Titel und Darstellungsart auf Materialien als Bezugsfeld verweisen, diese malerisch und grafisch imitieren. Ich denke dabei an die Bildserie Marmorgeheimnisse, die etwas verbergen, was Sie liebe Besucher, bei genauer Betrachtung deuten oder sogar lüften können. Auch in den großformatigen, planvollen Malereien Blechadler und Rotschrott zeigt sich Fritz Langbeins Vorliebe für besondere Dinge und Materialien, gerade auch im Zustand ihres Vergehens. Die beiden Werke sind unter dem Eindruck von Fotografien Kersten Lörchers entstanden. Der New Yorker Architekt und Fotograf dokumentierte über Monate hinweg den Verschrottungsprozess eines riesigen Öltanks in New York. Nach seiner industriellen Nutzung wurde der Tank lange Zeit sich selbst und damit dem allmählichen Zerfall und dem Verrosten überlassen. So entstand eine ganz eigene Ästhetik der Deformierung und Veränderung, die für Fritz in diesem Jahr Anlass zur malerischen Umsetzung wurde. Es ist nicht möglich, auf sämtliche Werke der Ausstellung einzugehen, dafür ist Zahl der Zugriffsweisen und die Zahl der Bilder zu groß. Hervorheben möchte ich dennoch, dass es neben den genannten Landschafts- und Materialimpulsen auch Bilder gibt, die sich auf Figürliches, Körperliches beziehen. Dies zeigt sich in der zeichnerischen Darstellung von Studierenden, in Paardarstellungen oder mehreren Torsi, bei dem es hin und wieder auch Anklänge zu Horst Janssen gibt, den Fritz sehr schätzt. Hier erweist sich der Künstler Langbein als Meister im Umgang mit dem Bleistift, durch den er zum Teil Farbflächen durch strichelnde Linienmuster überlagert, tilgt oder verdichtet.

Tausende Striche, diszipliniert und dicht aneinandergesetzt, bezeugen einmal mehr die tiefe Versenkung, von der ich bereits sprach. Zudem erfordert diese Art der Zeichnung uneingeschränkte Konzentration und Disziplin, Sauberkeit und Wachheit. Diese Über-Zeichnungen entwickeln auf kleinem Raum eine unglaubliche Dichte und Intensität, die beeindruckt. Ein letztes Bild, auf das ich eingehen möchte, ist anders, vielleicht sperriger, es lässt sich nicht so schnell einordnen. Es verstört bei genauer Betrachtung und beim Lesen des Titels Lampedusa (dessen besondere Schreibweise Sie beachten sollten). Nicht aufdringlich und vordergründig, vielmehr subtil und anspielend wird auf die Situation der Bootsflüchtlinge aufmerksam gemacht, die versuchen über Lampedusa den europäischen Kontinent zu erreichen. Fritz Langbein konfrontiert uns nicht mit Schreckensbildern, wie wir sie aus den Medien kennen. Das Geschehnis, welches sich hier in lichten Farben vor tiefschwarzem Grund abspielt, offenbart sich erst auf den zweiten Blick, kommt sozusagen durch die Hintertür und macht uns umso mehr betroffen, weil uns der Künstler mit den zunächst hellen und positiv besetzten Farben der Kleidungsstücke und des Seils in Hellblau, Rosa, Weiß und Gelb in eine Falle gelockt hat. Hier zeigt sich, dass sich Fritz Langbein auch nachdenklich und kritisch an unmittelbaren Geschehnissen und Tragödien der Zeit reibt. Die heute zu eröffnende Ausstellung gibt dem Künstler die Möglichkeit, seine Werke über einen längeren Zeitraum zu präsentieren und diese so Patienten, Freunden und Gästen zugänglich zu machen, ihnen ein schönes Erlebnis zu vermitteln.

Es ist ja kein Geheimnis, dass Zahnarztbesuche durchaus mit Ängsten und auch schmerzlichen Erlebnissen verbunden sind. Deine Bilder, lieber Fritz, lassen dies in den Räumen, die ja als Zahnarztpraxis zunächst eher kunstfern sind, ein stückweit vergessen. Auch das ist gut so. Es tun sich zugleich, bei genauerer Überlegung, neben dem Anspruch von „Ästhetik“, gewisse Gemeinsamkeiten zwischen dem Zahnarztberuf und der Tätigkeit eines Künstlers auf. Für beides braucht man mitunter sehr viel Geduld, eine gute Konzentrationsfähigkeit, ein gutes Auge, eine gute Hand und gutes Werkzeug. Außerdem sind eine vernünftige Planung und Können unerlässlich für den Erfolg!

Dass auch das Kauen durchaus etwas mit Kunst zu tun hat, soll abschließend ein Zitat von Bertold Brecht aus dem Jahr 1939 belegen, dass sich zugleich an Sie, liebe Gäste, richtet: „Wenn man zum Kunstgenuss kommen will, genügt es ja nie, lediglich das Resultat einer künstlerischen Produktion bequem und billig konsumieren zu wollen. Es ist nötig, sich an der Produktion selbst zu beteiligen, selbst in gewissem Umfang produktiv zu sein, einen gewissen Aufwand an Phantasie zu betreiben, seine eigene Erfahrung der des Künstlers zuzugesellen oder entgegenzuhalten. Selbst der nur isst, arbeitet; zerschneidet das Fleisch, führt den Bissen zum Mund, kaut. Den Kunstgenuss kann man nicht billiger bekommen.“ Lieber Fritz, ich erinnere mich gerne an unsere Zusammenarbeit an der PH, an unsere gemeinsamen Exkursionen (Civitella, Documenta, Graz, Elsass), ich schätze mich glücklich, dich als Freund zu haben und ich freue mich, wir freuen uns auf weitere schöne Begegnungen mit dir und deiner Familie. Der Ausstellung wünsche ich natürlich viel Erfolg, Ihnen, liebe Gäste, den besagten Brechtschen Kunstgenuss und gute Gespräche. Vielen Dank.

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